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20.01.2025 // von Sabrina

Wie finde ich Mr. Right?

Die Qual der Wahl – das kannten schon die Menschen im 15. Jahrhundert, denn in dieser Zeit entstand das berühmte Sprichwort „Wer die Wahl hat, hat die Qual“. Und heute bringt es noch immer viele Züchterinnen und Züchter ins Schwitzen, wenn es darum geht, den passenden Deckrüden für den nächsten Wurf zu finden. Zwischen Theorie und Praxis gibt es eine Menge an Gründen, warum es ausgerechnet dieser Rüde geworden ist. Manche davon sind ziemlich simpel: „Ich will nicht mehr als zwei Stunden fahren“, „Der Rüde muss sofort verfügbar sein“ oder „Ich will nicht mehr als Betrag X für die Deckgebühr zahlen.“ Als zukünftiger Welpenbesitzer erfährst du davon in der Regel nichts.

Dann gibt es aber auch die Züchter, für die die Planung eines Wurfs fast so aufwendig ist wie die Organisation der eigenen Hochzeit. Sie planen Monate im Voraus, treffen sich mehrmals mit dem zukünftigen „Brautpaar“, um sicherzugehen, dass die Chemie stimmt – und das möglichst auch noch zwischen den Besitzern.

Da ich selbst zur emotionalen Fraktion der Züchter gehöre, möchte ich dir in diesem Blog zeigen, wie ich meine „Hunde-Hochzeiten“ in Schritt-für-Schritt-Recherche plane.

© Sabrina Thiel

Kapitel 1: Zuchtziel

Der erste Punkt, der oft übersehen wird, aber einen enormen Einfluss auf deine Zucht und die Rasse hat, ist dein Zuchtziel. Mit diesem Begriff beschreibt man in der Hundezucht das gewünschte Ergebnis, das du durch deine Zucht erreichen willst. Doch was heißt das genau? Dein Hund soll natürlich dem Rassestandard oder dem Wiedererkennungswert der jeweiligen Eingruppierung entsprechen – gesundheitlich, optisch und charakterlich.

Aber hier kommt der Moment, in dem du einen kritischen Blick auf deinen eigenen Hund werfen solltest. Ja, du liebst deinen Hund über alles, und natürlich ist er der schönste und beste Hund der Welt. Aber: Kein Hund ist perfekt – Zucht heißt Verbesserung!

Jeder Hund hat eben seine Stärken und Schwächen. Und genau diese Schwächen deines Tieres solltest du genauestens kennen, um aktiv gegenarbeiten zu können. 

Der nächste Schritt ist, dich intensiv mit der Idealvorstellung deiner Zucht oder sofern vorhanden, dem aktuell gültigen Rassestandard zu beschäftigen. Wie gut passt dein Hund dazu? Welche Eigenschaften entsprechen dem Standard, und wo gibt es vielleicht Abweichungen? Wenn du unsicher bist, kannst du dir auch die Unterstützung eines Zucht- oder Rasseexperten holen. Als Mitglied von EWA steht dir die Rüdentabelle zur Verfügung in der du alles eintragen kannst, was ich oben genannt habe. Das Zuchtkomitee steht dir natürlich auch immer mit Rat zur Seite. 
Nachdem du deinen Hund mit dem Rassestandard (oder deiner Idealvorstellung) verglichen hast, kannst du dein Zuchtziel noch um persönliche Vorlieben ergänzen. Vielleicht träumst du von besonders sportlichen Hunden, plüschigem Fell oder Sonderfarben wie blau. Aber denk daran: Manche dieser Wünsche lassen sich nicht von heute auf morgen erfüllen. Bestimmte Merkmale brauchen mehrere Generationen, um sich festzusetzen. Zum Beispiel wirst du aus einem Hund ohne das Gen für blaue Fellfarbe keine blauen Welpen bekommen – zumindest nicht in der ersten Generation.

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Kapitel 2: Gesundheit

Du hast dich also entschieden, mit deinem Seelenhund an deinem Zuchtziel zu arbeiten und hast alle nötigen Untersuchungen für die Rasse gemacht – vielleicht sogar ein paar zusätzliche. Wenn dein Hund genetisch frei von testbaren Krankheiten ist, stehen dir bei der Auswahl des Deckrüden mehr Möglichkeiten offen. Ist dein Hund jedoch ein Träger bestimmter Erbkrankheiten, schränkt das die Auswahl ein, da wir unter EWA darauf achten, dass auch keine Doppelträger in der Zucht eingesetzt werden. Das bedeutet, wenn dein Hund N/DM ist, wird eine Verpaarung mit einem Partner, der N/HZ ist, nicht genehmigt.

Mit Hilfe von sogenannten Zuchtwerten lassen sich sogar bereits Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf erblich bedingte, nicht testbare Krankheiten vorhersagen. Zu diesem Thema hat Nadine ein ganzes Seminar vorbereitet, das unseren Züchtern zur Verfügung steht und dabei hilft, auch sinnvolle Entscheidungen zu nicht testbaren Krankheiten zu fällen.

Wir müssen uns nur merken: Je besser deine Hündin gesundheitlich dasteht, desto mehr potenzielle Partner hast du.

Ein weiterer Tipp: Studien zeigen, dass Hunde mit schlechteren Hüftwerten, als einer A-Hüfte, nur mit Hunden mit A-Hüften verpaart werden sollten. Das minimiert das Risiko für Hüftgelenksdysplasie (HD) deutlich. Verpaart man zwei Hunde mit A1-Hüften, liegt die Wahrscheinlichkeit für HD bei den Nachkommen bei nur 3,5%. Bei A2-Hüften steigt das Risiko bereits auf 8,2%, und bei Hunden mit B1-Hüften verdoppelt es sich auf 16,3%. 

Deswegen hat die EWA in ihren Ethikleitlinien auch festgelegt, dass ein Partner definitiv eine A-Hüfte haben muss. 
HD wird aber nicht nur genetisch beeinflusst. Auch Faktoren wie Aufzucht, Ernährung und die Umgebung spielen eine Rolle. Hier wird es also mal wieder etwas komplizierter.

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Kapitel 3: Temperament

Für mich stand neben der Gesundheit immer der Charakter im Vordergrund. Der Rüde, den ich auswähle, muss ein „netter“ Kerl sein – also einer, der im Alltag gut zu händeln ist und keine Aggressionen gegenüber Menschen, Hunden oder anderen Tieren zeigt. Denn was nützt der schönste Hund, wenn er eine Gefahr für seine Umwelt darstellt?

Leider ist das mit dem Charakter nicht so einfach wie „netter Hund x netter Hund = nette Welpen“. Studien haben gezeigt, dass nur etwa 20% des Charakters eines Hundes vererbt werden. Die restlichen 80% können mitunter das Ergebnis von Umwelt, Erfahrungen und Erziehung sein. Auch spielt Epigenetik eine tragende Rolle, die ich in Kapitel 4 kurz erkläre. Das bedeutet nun für uns, dass es nicht ausreicht, wenn nur der Rüde aus seinem Wurf deinen Vorstellungen entspricht – es sollten alle Geschwister ähnliche Anlagen haben, um eine genetische Komponente zu vermuten.

Kurz gesagt: manchmal sticht ein Hund besonders positiv aus dem Wurf hervor. Aber das ist, wie wir nun wissen, oft weniger eine Frage der Gene, sondern eher der Aufzucht und Erziehung. Trotzdem ist es wichtig zu wissen, dass der genetische Einfluss des Vaters eine entscheidende Rolle spielt und negative Eigenschaften sich leider doppelt so stark vererben wie positive. Eine Studie von 1992 zur Erblichkeit hündischer Eigenschaften konnte Folgendes feststellen: jagdliche Veranlagung 10 – 30% | Nervosität 50% | verschiedene Leistungsmerkmale 10 – 50%.

Deshalb solltest du den Charakter deines ausgewählten Rüden und seiner Familie immer genau im Blick behalten und dich gut informieren.

Für mein persönliches, zukünftiges Zuchtziel bedeutet das: Ich setze auf einen souveränen Rüden, der nicht nur durch Aussehen, sondern vor allem durch sein in der Familie bereits verankertes, gelassenes Wesen überzeugt.

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Kapitel 4: Epigenetik

Vielleicht hast du den Begriff „Epigenetik“ schon mal gehört, aber noch nicht so richtig verstanden. Das ist ganz normal, denn dieses Forschungsgebiet hat erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Epigenetik erklärt, wie Umweltfaktoren die Aktivität von Genen beeinflussen können – und diese Veränderungen sogar über mehrere Generationen weitergegeben werden.

Was heißt das konkret? Wenn ein Lebewesen starken Umwelteinflüssen ausgesetzt ist, wie etwa Chemikalien, Stress, Trauma oder falscher Ernährung, kann das seine Gene so beeinflussen, dass diese Anpassungen an die Nachkommen weitervererbt werden. Auch in der Humanpsychologie hat man festgestellt, dass Traumata durch Krieg oder Gewalt von Generation zu Generation weitergegeben werden können.

Für die Hundezucht bedeutet das, dass Zuchttiere, die schlechte Erfahrungen gemacht haben oder aus problematischen, sowie unbekannten Verhältnissen stammen, einen stärkeren Einfluss auf ihre Welpen haben können, als man ursprünglich dachte. Die Bindung zu ihrer Mutter, die frühen Erfahrungen und das Verhalten von Züchtern und Haltern prägen die Hunde oft viel tiefer, als es die Gene allein könnten. 

Deshalb ist es wichtig, nicht nur die genetische Linie eines potenziellen Deckrüden zu betrachten, sondern auch darauf zu achten, woher er kommt und welche Erfahrungen er und seine direkten Familienangehörigen gemacht haben.

Welpen, Puppy Culture
© Sabrina Thiel

Kapitel 5: Verwandtschaft

Wenn du auf der Suche nach dem passenden Deckrüden für deine Hündin bist, gehört die Überprüfung der Verwandtschaft zu einem der wichtigsten Schritte – egal ob am Anfang oder wie hier am Ende der Planung. Neben modernen Tools wie, Embark solltest du auch klassisch den Stammbaum analysieren, um den sogenannten Inzuchtkoeffizienten (COI) nach Wright zu berechnen. Denn nur eine detaillierte Stammbaumanalyse kann dir zeigen, welche Vorfahren doppelt vorkommen und welche positiven oder negativen Merkmale sich innerhalb der Linie verstecken. Studien zur Zuchtstrategie innerhalb der Nutztierzucht deckten auf, dass sich das Rad der Inzuchtdepression ab einem durchschnittlichen Populations-COI von über 10% zu drehen beginnt. Der durchschnittliche Populations-COI der meisten Hunderassen ist das mehrfache davon!

Es ist also wichtig, den Inzuchtgrad möglichst niedrig zu halten, insbesondere in Rassen mit einer kleinen Population. Neben dem COI gibt der Ahnenverlustkoeffizient (AVK) an, wie viele Ahnen durch mehrfach vorkommende Vorfahren verloren gehen. Je höher der AVK, desto größer ist die genetische Vielfalt. Wenn zwei Hunde aus Linienzucht verpaart werden, die nicht direkt miteinander verwandt sind, kann der Inzuchtgrad ihrer Welpen bei 0 % liegen, obwohl der Ahnenverlust hoch ist. Das bedeutet, dass die genetische Vielfalt trotzdem eingeschränkt sein kann.

Der Vorteil einer Verpaarung von verwandten Hunden – also einer Linienzucht – liegt darin, dass sich bestimmte gewünschte Eigenschaften schneller und gezielter manifestieren lassen. Das könnte ein einheitlicher Charakter, eine gleichmäßige Optik oder eine Steigerung der Leistung sein. Allerdings birgt die Linienzucht auch Risiken. Ein hoher COI bedeutet nicht automatisch, dass die Welpen krank sind, aber es können sich nicht gewünschte Merkmale in der Genetik der Nachzuchten vermehrt durchziehen. 

Outcross-Verpaarungen, also die Verpaarung nicht verwandter Hunde, werden oft als Lösung angesehen, um die genetische Vielfalt zu erhöhen. Aber Vorsicht: Auch hier können neue, unentdeckte Defekte in die Population eingeschleppt werden, da viele genetische Defekte rezessiv vererbt werden und möglicherweise erst in späteren Generationen sichtbar werden. Also lernen wir daraus, dass ein niedriger COI keine Garantie für gesunde Nachkommen ist.

Wenn der gewünschte Deckrüde einen unbekannten Stammbaum hat, ist die Verwandtschaft schwer einzuschätzen. Selbst ein Embark-COI von 12 % gibt keine klare Auskunft darüber, wie nah die Eltern des Rüden miteinander verwandt waren. Im Extremfall könnte es sich dabei um eine Verpaarung von Halbgeschwistern oder Großeltern mit Enkeln handeln, ohne dass dies sofort ersichtlich ist. Des Weiteren weiß man auch nicht, ob die Ahnen der eigenen Hündin sich mit den unbekannten Vorfahren des potenziellen Partners doppeln würden. Daher ist es entscheidend, bei der Auswahl des Deckrüden nicht nur auf den COI zu achten, sondern auch den Stammbaum so gut wie möglich zu kennen und zu analysieren.

© Sabrina Thiel

Fazit:

Ich hoffe, euch hat der Einblick in die Suche nach dem perfekten Deckrüden gefallen. Wie ihr seht, steckt hinter einer gut durchdachten Hundezucht eine Menge Verantwortung, Liebe, Zeit und Recherche. Wenn ihr jetzt Lust bekommen habt, euer Wissen noch weiter zu vertiefen, kann ich euch empfehlen, die Seminare zu besuchen. Dort könnt ihr tiefer in die spannende Welt der Vererbung und Zucht eintauchen. Und vielleicht habt ihr die ein oder andere Anregung zum Thema Rüdensuche, die ihr mir näher bringen könnt 😉

mehr über Sabrina

Seit meiner Kindheit habe ich mich leidenschaftlich mit Hunden beschäftigt. Ich las Bücher über Hundethemen, besuchte Hundeausstellungen und betrieb Hundesport. Meine Liebe galt zuerst meiner altdeutschen Schäferhündin, dann meinem Golden Retriever und meinem ersten und einzigen Mops Rocky. Mein Traum war jedoch immer ein Husky. 2015 erfüllte ich mir diesen Wunsch mit dem Tamaskan Aleu. Es folgten Mio 2021 aus meiner eigenen Zucht sowie Shippō 2024. Unsere Leidenschaft ist Reisen, Zughundesport und DogTrekking.
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